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R1 vs. R6 |
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...oder verschiedene Generationen und Dimensionen. (so gepostet in drm am 18.03.2003)
Vorgestern war Yamaha-Saisoneröffnung, und weil ich mir letztens im Winter so dachte "wenn Du ordentlich sparst, ist nächstes Jahr vielleicht 'n neues Mopped drin", bin ich zum Händler nach Diez gefahren und hab' mir die aktuelle R1 und die niegelnagelneue R6 mit dem freundlichen Grinsegesicht für einen Fahreindruck unter den Nagel gerissen.
Da ich beim anschließenden Studium einiger Fachzeitschriften zu dem Schluß gekommen bin, daß die dortigen Autoren (naturgemäß) von der Vielzahl potenter und moderner Kräder mittlerweile moralisch und sensorisch etwas degeneriert sind, was die Verkostung solch edler Gefährte betrifft, möchte ich meine Eindrücke mal aus der Perspektive eines einfachen Menschen wiedergeben, der sich sonst an den einschlägigen Posertreffpunkten mit seiner 94er FZdoppelR recht minderbemittelt vorkommt.
Natürlich war beim Test-Tag einiges los und die Probefahrzeiten waren mit 30 Minuten doch recht begrenzt. Zu viele vom Winter ausgezehrte Jeans-Turnschuh-Schnauzbartträger warteten begierig auf günstige Fahrgelegenheiten. Dafür war auf der Teststrecke aber praktischerweise alles dabei, nämlich kurzer Stadtverkehr durch Limburg, ab auf die Dosenbahn und dann über die Landstraße - und gar nicht mal so eine schlechte - zurück zum Händler.
Soviel zum Prolog, jetzt zu den Eindrücken.:
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Als erstes ist die R1 dran, hmm, schlechte Reihenfolge möglicherweise, aber die wird eben als nächstes frei. Eigentlich, denke ich mir, ist es so ähnlich wie mit einem Whisky-Tasting: Wenn man die kräftigen zuerst nimmt, sind die Sinne für die feinen Nuancen der weicheren anschließend abgestumpft, aber dazu später mehr. Wie schmeckt sie nun, die kräftige R1? Erstmal vollkommen leicht, bekömmlich und angenehm, da ist kein Kratzen im Hals und kein unangenehmer Beigeschmack. Draufsitzen und wahrhaftig wohlfühlen, denn das fühlt sich schon bei Schrittgeschwindigkeit gut an. Die Sitzposition ist - so wie ich's mag - sportlich (ach was...), das Sitzpolster angenehm straff, das geringe Gewicht und die handliche Auslegung schon im Stand zu spüren. Auch das "look and feel" bei der Sicht von oben auf die Armaturen hinterlassen einen guten Eindruck - ganz im Gegenteil z.B. zu einer VStrom, die ich später am Tag probesitze und wo ich vom dominierenden Blick auf das grobschlächtige Rahmendreieck eher negativ beeindruckt bin. Wenn ich mit allen Moppeds das Gefühl des darauf Sitzens im Stand vergleichen sollte, fällt mir spontan eine Duc 748 ein. Die Parallelen liegen in der Sitzposition, dem Eindruck guter Verarbeitung (schöne Materialien, saubere Montage) und dem insgesamt knackig-sportlichen Charakter. Das Rot der Testmaschine spielt vielleicht auch eine Rolle... Tja, so viele Zeilen, nur um das Sitzgefühl zu beschreiben, dann wollen wir uns mal endlich in den Verkehr stürzen. Also
erstmal kurz vor's Limburger Stadtzentrum um den Weg zur Dosenbahn zu suchen, über die wir uns dann ins freie Land
katapultieren wollen. Es stellt sich schnell heraus, daß der samstägliche Stadtverkehr nicht nur mich, sondern auch die
R1 so gewaltig zu nerven scheint, daß sie mir durch ihr unkompliziertes Handling schon auf den ersten Metern mitteilt
"kein Grund zur Sorge, alles ganz einfach hier, nur schnell weg aus der zähen Blechlawine!". Flink ausgeschert und
*brrrruuuuumm* - unspektakulär aber nachdrücklich - vorbei an den Dosen. Handlich ist sie, und ziemlich kräftig, die
Kraft aber auch in der Stadt sauber dosierbar. Die Bremsen, die man bei solchen Aktionen immer braucht, um sich
punktgenau bei Gegenverkehr hinter der nächsten Stoßstange einzuordnen (erprobte Nahkämpfer wissen, was ich
meine), sind eher zahm und werfen mich auch bezüglich ihres feedbacks nicht gerade vom Höcker. DAS also ist R1-fahren. Aber es geht noch weiter, denn mittlerweile haben wir uns, an der Vielzahl der Hindernisse vorbei, zur Autobahnauffahrt
gezoomt. Wie schnell das eigentlich ging, und wie viele für Außenstehende vermutlich schockierende Manöver man
hierbei vollzogen hat, wird einem erst in der Retroperspektive bewußt, während des Fahrens hat man schlichtweg keine
geistige Kapazität für derartig profane Gedanken übrig. Das Bild vor meinem Auge verwischt zu einem Muster aus bunten Pinselstrichen und grauer Hintergrundfarbe mit
weißen Linien, das Brüllen des Motors wird von einem gewaltigen Donnern des Fahrtwindorkans überlagert und ich muß
mich wirklich klein machen, damit das Schütteln des Helmes wenigstens halbwegs im Rahmen bleibt. O.K., Windschutz
könnte also schon besser sein. Als die Marke von 250 überschritten wird, habe ich auch für die kurzen Blicke auf den
großen Digitaltacho keine Zeit mehr, ich spüre aber, daß die Kiste weiterhin zornig vorwärtsschiebt. Unglaubliche
Gewalt! |
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Dann also kurze Pause und die R6 in Empfang nehmen. Selbe Ecke an der Ampel mit der Brücke und dem folgenden vierspurigen Stück bis zur Dosenbahn. Gas auf, kein
ungewollter Wheelie und ein Gefühl wie "willkommen zu Hause". Da, wo bei der R1 das Bild von unschuldig
brummelnden Motor und massivem Schub leichte Verwirrung erzeugte, schreit die R6 aggressiv und passend zum
Sprint nach vorne auf - kaum langsamer, nur eben akustisch deutlich spektakulärer und damit "der Situation
angemessener" als die R6. Wir, die kleine R und ich, sind jetzt fast genauso schnell wie vorhin, nur hört man es jetzt
auch. Das Umlegen in die Autobahnauffahrt geht jetzt schon etwas mutiger, insgesamt bin ich der 6er gegenüber nach
diesem kurzen Willkommensgruß weniger mißtrauisch als gegenüber der R1, und raus auf die Bahn. Hier parallel das
selbe Bild wie vorhin, vielleicht geringfügig weniger brutal als auf der Großen und bei 250 auch nicht mehr mit DEM
gewaltigen Druck, aber im Vergleich zu meiner treuen FZdoppelR ist der Druck schon eine andere Dimension. Ob der
Windschutz jetzt minimal besser ist, oder ob ich nur etwas langsamer war und mich tiefer hinter der Verkleidung geduckt
habe, wage ich nicht zu beurteilen. Die Fahrt auf der Landstraße läuft um einiges vertrauenserweckender ab als mit der R1-Rakete, denn irgendwie bin ich die Charakteristik des Motors schon gewohnt, auch wenn sich das Ganze hier auf deutlich höherem Niveau abspielt. Die R6 fällt praktisch gar nicht unter 4kU/Min und fühlt sich bei höheren Drehzahlen einfach wohl. Die FZdoppelR klingt im Vergleich grundsätzlich etwas angestrengter, so daß man etwas mehr Skrupel überwinden muß, um sie ständig in brauchbaren Drehzahlregionen zu halten. Der Bereich von 4 bis ca. 7kU/Min ist mit der R6 immer nur erfreulich kurz präsent, auch hier hat sie offensichtlich deutlich mehr Bumms (und natürlich über 20kg weniger) als die gute alte FZdoppelR. Das Fahrwerk unterscheidet sich vor allem durch seine spürbar (!) höhere Steifigkeit, eine straffe aber nicht übertrieben harte Dämpferabstimmung und das extrem spielerische Handling gegenüber der ohnehin schon sehr handlichen FZdoppelR (alle Moppeds waren übrigens mit Michelin Pilot Sport besohlt). Leider wird die R6 in etwas tieferen Schräglagen auch geringfügig kippelig. Lenkerschlagen ist zudem auch bei der kleinen R ein Thema, wenn auch ein so deutliches Auskeilen wie bei der vorherigen Fahrt auf ihrer großen Schwester diesmal ausbleibt. Alles in allem ist R6 fahren genauso wie FZdoppelR fahren, nur eben neun Jahre später - d.h. in allen Bereichen (vielleicht bis auf die Bremse, da ist meine Stahlflex-Carbon-Lorraine-Kombi kaum schlechter) deutlich spürbare Verbesserungen. Also ein steiferes und besser gedämpftes Fahrwerk, sehr deutlich mehr Dampf in allen Bereichen und ein wahnsinnig einfaches Handling, daß sich zum "durch die Kurven pfeffern" förmlich aufdrängt. |
Vermutlich war ich mit R1 und R6 ähnlich schnell unterwegs, wobei ich mit der R1 in den Kurven und vor allem aus den Kurven heraus sicher einige Meter
verloren hätte. Aber wozu gibt es die Geraden :-) Nun die Frage: Was würde ich mir nun kaufen? Und wieviel besser ist es als das, was ich habe?
Nun, direkt nach dem R6-fahren waren meine ersten Gedanken "Super, viel mehr Vertrauen, außerdem kaum weniger umsetzbare Leistung, das reicht
doch."
Dann habe ich den Rest des Tages weitergegrübelt, um mir abends zu sagen, daß es doch interessanter wäre, die R1 beherrschen zu lernen: Schließlich
war es immer so, als ich von 34PS auf die offenen 61 der Diversion gewechselt habe, war ich erstmal schwer beeindruckt. Heute wäre ich vermutlich eher
schwer gelangweilt. Die erste Fahrt auf der Hausstrecke mit der FZRR ließ mich nach zweimal über die Mittellinie fahren etwas nachdenklich werden, heute
passiert mir das nicht mehr - dafür bewege ich mich häufiger im "heißen" Drehzahlbereich, als ich das früher zu träumen gewagt hätte.
Dann aber habe ich am Sonntag nochmal die olle FZRR geschnappt und meine dollen fünf Minuten bekommen: Hirnloses Angasen mit deftigen Wacklern, fiesen Spätbremsmanövern und allem was dazugehört - und danach bin ich das erste mal auf die Idee gekommen, daß man auch zu viel Leistung haben könnte. Das, worüber ich früher nur den Kopf geschüttelt habe, nämlich Statements wie "das ist nix für mich, damit fahr ich mich nur kaputt", genau das habe ich mir zum erstenmal - extrapolierend vom soeben erlebten auf die gleiche Fahrt mit einer R1 - selbst gedacht. Klar, im Rahmen der normalen, selbstbeherrschten Existenz kann man die Menge der abgegebenen Leistung immer mit dem Griff rechts regeln. Aber wenn man dann doch mal seine monatliche Dosis Merkbefreiung auslebt - und manchmal habe ich den Überschwang halt trotz meines fortgeschrittenen Alters doch nur noch begrenzt im Griff - segelt man wohl näher am Abgrund - bzw. am "Hai Sai To" (Kato-Zitat) - als mir lieb wäre.
Wenn man R1 fahren will, muß man seine persönlichen Ansprüche an sich selbst anpassen und seinen Reifegrad auf eine harte Probe stellen. Diesen Motor fährt man so gut wie nie an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Um diese sachlich-rationale Erkenntnis dauerhaft und zuverläsig in meine Handlung umzusetzen fehlt es mir vermutlich noch an der Reife.
Klar, die allermeiste Zeit wäre ich so besonnen und vorsichtig wie ich es jetzt schon meistens bin, aber wenn nunmal diese speziellen Momente des
Übermuts Oberwasser gewinnen, dann kann es ernsthaft bedrohlich werden.
Nunja, wenigstens habe ich jetzt mal wieder etwas Angenehmes, über das ich lange nachdenken kann. So lange, wie es dauert, bis ich endlich einen
ansehnlichen Betrag zusammengespart habe.