KTM 950 Adventure

Fahrbericht vom 28.02.2004

Wintersport auf Schnee - mit welchem 200kg-Mopped traut man sich das sonst?!

 

Fünf Stunden habe ich an meiner 620 Supercompetition geschraubt, um alle Voraussetzungen zu schaffen, dem TÜV ein wohlwollendes Nicken und eine Plakette für die nächsten zwei Jahre abzuringen. So viel harte Arbeit, Muskelkater in den Fingern vom Reifenwechsel und dann noch schmerzhafte Ausgaben für einen neuen Satz Kupplungsscheiben und eine neue Bremsscheibe hinten. Außerdem im Job mal wieder einen Haufen Überstunden in den letzten Wochen - das schrie förmlich nach einer selbstgemachten Belohnung.

Also habe ich bei MCR einen Termin ausgemacht, die LC 8 reserviert und für den bewußten Tag einen Gleittag genommen - Wellness für die Seele sozusagen.

Das Adventure ruft

Der Mechaniker erklärt mir kurz das Wichtigste ("Ach so, wenn ich den Hebel hier ziehe, dann bremst's?! Praktisch!") und übergibt mir die silberne 2003er Adventure, deren offensichtliche Beliebtheit am Kilometerstand von bereits knapp 11Mm erkennbar ist. Der erste Kontakt nach dem Wechsel von meiner LC4 auf die LC8 ist ohne größere Überraschungen. Die relativ hohe Sitzposition - ich komme im Stand gerade so mit beiden Fußballen gleichzeitig auf den Boden - und die knackig straff gepolsterte Sitzbank sind typisch KTM und sozusagen ein Ganzkörper-haptisches Erkennungsmerkmal der Marke. Passend dazu strahlt mir in der mittlerweile eingebrochenen Dunkelheit die Hintergrundbeleuchtung des großen Digitaltachos und des analogen Drehzahlmessers in kräftigem orange entgegen.

Die ersten Meter lassen fühlen, daß sich die KTM unkompliziert und leicht kontrollieren läßt, die über 200kg fallen nicht negativ auf - auch und besonders beim Langsamfahren übrigens nicht. Nach einem kleinen Schwenk durch den abendlichen Stadtverkehr mache ich kurz zu Hause Station, um mir für den anschliessenden Weg in den Hintertaunus etwas dickere Klamotten überzuziehen.

Vor meiner Haustür stelle ich dann fest: Glück mit dem Wetter ist wohl anders. Nachdem ich schon am Abend zuvor beim Heimweg mit der Vespa pünktlich das Schneechaos mit geschlossener Schneedecke (in Frankfurt ein recht seltenes Ereignis) erwischt hatte, sollte auch dieses mal pünktlich zum Fahrtantritt Schneefall einsetzen, der erst kurz nach Ankunft in Bad Camberg wieder abklingt. Ich fahre trotz der weißen Flockenpracht unerschrocken los und vertraue auf meine dick gefütterte Textilkombi, meine unvorstellbaren Fahrkünste und die Tatsache, daß andere mit so einem Motorrad in ein paar Wochen durch Südeuropa und halb Afrika fahren. Das Vertrauen in die gute Kontrollierbarkeit der LC8, das ich durch den ersten Eindruck im Stadtverkehr gewonnen habe, macht mir die Entscheidung leicht.

Auf der ersten Etappe über die Autobahn erweist sich der Windschutz der Verkleidung als sehr praktisch, auch wenn ich mich wegen der dunklen Tönung der Scheibe bei Dunkelheit nicht komplett dahinter verstecken kann. Mit unspektakulär empfundenem Tempo 140 bis 150 geht es auf der linken Spur an den Schnee-Phobikern vorbei, schließlich ist der Asphalt noch einigermaßen frei. Die Schneeflocken wirken im Scheinwerferlicht wie ein zu schnell eingestellter "Starfield"-Bildschirmschoner, begleitet von einer tosenden Geräuschkulise. Die Verkleidung schützt zwar gut vor Wind, ist dabei aber sicher nicht auf Geräuscharmut optimiert - was mich persönlich allerdings auch wenig stört. Ebenso sind die Vibrationen des Motors immer spürbar, was zärter besaitete Gemüter möglicherweise verstimmten könnte. Aber für die ist der Zweizylinder auch ganz sicher nicht konstruiert worden.

Mit Abfahrt von der Autobahn werden die Verhältnisse erwartungsgemäß nicht besser, an einigen Stellen bedeckt bereits eine dünne weiße Schicht die Straße. Aber schließlich heißt das Mopped unter mir ja "Adventure", also passt das mit den abenteuerlichen Verhältnissen gut zusammen. Insbesondere beim Überfahren von Brücken bemühe ich mich, wegen der Glättegefahr möglichst wenig Antriebseinflüsse wirken zu lassen. Durch ein deutliches Ruckeln bei wenig Gas wird dies allerdings etwas erschwert. Beim ersten Auftreten dieses Ruckelns keimen sogar Sorgen, daß es dem Motor möglicherweise gar zu kalt sein könnte, und die Spritzufuhr im Begriff ist, zuzufrieren - aber es bleibt beim Ruckeln, ausgehen tut die Kantn nicht.

Unter diesen doch eher speziellen Bedingungen fällt noch ein weiterer Mangel auf, der vermutlich sonst weniger negativ ins Gewicht fällt: Das Bemühen, den Fahrbahnzustand visuell auf Schnee- oder Eisflecken abzutasten, wird durch die helle Cockpitbeleuchtung und insbesondere die kräftige blaue LED bei Fernlicht erschwert.

Nach einer konzentrierten Fahrt wie auf rohen Eiern komme ich heil am Zielort an und kann an meiner Kleidung nochmals feststellen, daß die Verkleidung offenbar recht ordentlich funktioniert. Gestern hatten schon sieben Kilometer Stadtverkehr gereicht, um zum weißen Schneemann zu werden, heute sind nur die Oberseiten der Schultern und die Oberseite des Helms etwas feucht.

Wintersport

Am nächsten Tag sieht das Wetter dann etwas freundlicher aus, die Sonne scheint die meiste Zeit und einige kurvige Asphaltabschnitte sind sogar trocken, wenn auch ordentlich gesalzen. Links und rechts neben den Straßen reflektieren weiße Schneefelder das Sonnenlicht und verbreiten die positive Stimmung eines schönen Wintertages. Gute Voraussetzungen also, um zu testen, was die LC8 außer Langsamfahren und vorsichtigen Nachtfahrten bei Schneefall sonst noch kann.

Endlich bietet sich die Gelegenheit den Motor einigermaßen zu fordern - bzw. bietet sich dem Motor die Gelegenheit, mich ein wenig zu beeindrucken.

Die Geräuschkulisse ist in Bezug auf Sound und Lautstärke nicht zu verachten. Der Motor erinnert sowohl in Sachen Melodie wie auch bezüglich des Anschubs am ehesten an eine frühe Ducati 916.

Mit trockenem Zweizylinder-Schlag, der bei niedrigen Drehzahlen ein bißchen an einen Porsche-Boxer erinnert, drückt er die Adventure mit gleichmäßig linearer Leistungsentfaltung aus den Kurven heraus. Bei zunehmender Drehzahl verändert sich die Melodie vom rythmischen Ballern zum dunklen, aggresiv-trockenem Stakkato eines älteren Ducati-Superbikes. Mit leicht werdendem Vorderrad und zuckendem Lenker zoomt die Adventure zornig brüllend das Ende der Geraden heran. YEAH! Nach einigen Wochen persönlicher Leistungsabstinenz (die ca. 50PS meiner KTM waren seit schätzungsweise November das höchste der Gefühle) sorgt dieser Anschub für einen emotionalen Befreiungsschlag. Endlich wieder häßlich brutal angasen :-).

Insgesamt kommt die Adventure mit ihrer Kombination aus aufrechter Sitzposition, breitem Lenker und elastischem, druckvollem Motor nach meinem persönlichen Erfahrungsschatz vom Fahrerlebnis her einer Speedtriple am nächsten. Dabei geht so eine Speedtriple natürlich schon noch etwas druckvoller ans Werk und hat einen weiteren, auf Asphalt nicht zu verachtenden Vorteil: Sie bremst deutlich bissiger und transparenter. Die KTM marschiert auf Asphalt zwar recht grimmig und über den gesamten Drehzahlbereich betrachtet schneller vorwärts als beispielsweise meine FZRR - dafür ist am Ende der Geraden aber eine gewisse Weitsicht geboten, denn die vorderen Stopper brauchen deutlich mehr Zug am Hebel und die lange Gabel liefert spürbar weniger Feedback für das Brems-Limit als ein reiner Straßensportler.

Mit meiner FZRR oder einer Speedtriple würde ich mich natürlich eher ungern auf unbefestigtes Terrain (oder auch einen verschneiten Parkplatz) wagen, wogegen ich mit der Adventure sogar mal eine Crosstrecke probieren würde - und da wäre eine Speedtriple-Bremse wohl weniger hilfreich. Insofern ist die bei der KTM höhere erforderliche Handkraft natürlich erklärbar und für enduristische Zwecke auch sinnvoll.

Von den Kompromiß-Bremsen abgesehen sind Fahrwerk und die Reifen von der Motorleistung keineswegs überfordert. Die Federung wirkt im Stand straff, während des Fahrens bügelt sie hingegen den Asphalt sehr ordentlich glatt. Es stellt sich trotz der Temperatur um den Gefrierpunkt ein satt-grippiges Gefühl ein, begleitet von der Vermutung, ein eventuell rutschendes Hinterrad leicht wieder einfangen zu können. Allerdings gehe ich hier angesichts des doch recht ansehnlichen Kaufpreises der Maschine kein übermäßiges Risiko ein. Nur nach einem überraschendem derben Drift auf feuchter Straße provoziere ich noch einen kleinen, gewollten Hinterradrutscher und bestätige damit meine Vermutung.

Insgesamt wirkt die KTM in Schräglage stabil und neutral und ermutigt zu tiefem Eintauchen in die Kurven. Die Schräglagenfreiheit wage ich bei den kalten und gesalzenen Straßen nicht zu ergründen, angesichts der großen Bodenfreiheit sollte es hier aber auch im Sommer keine ärgeren Probleme geben.

In wirklich kurvigen Passagen wirkt die Adventure nicht übertrieben handlich, im Vergleich zu bspw. einer Dominator oder einer Transalp ist der Eindruck sogar - auch KTM-typisch - eher ein wenig träge. In den wenigen trockenen Wechselkurven, die ich an diesem Tag erwische, macht sich bei schnellen Schräglagenwechseln außerdem ein etwas unangenehmes Phänomen bemerkbar: Während des Umlegens von der einen in die andere Schräglage verharrt die 950er kurz in der Mittelstellung, als wollte sie eigentlich lieber geradeaus fahren. Ob dies ein grundsätzliches Problem ist oder am schon etwas abgefahrenen Vorderreifen oder einem anderen Problem im vorderen Fahrwerksbereich lag, kann ich schwer beurteilen. Zumindest machte sich beim Bremsen hin und wieder ein deutliches "Klonk" aus dem Bereich der Gabel bemerkbar. Mein Händler mutmaßte, daß dies eine übliche Äußerung der Schwimmsättel sei, aber wer weiß.

Einen weiteren Kritikpunkt liefert bei der freudigen Kurvenhatz ein weiteres mal die Vergaserabstimmung, diesmal geht es aber nicht um Konstantfahrruckeln bei wenig Gas, sondern um das genaue Gegenteil: Beim Wechsel vom Schiebebetrieb mit höheren Drehzahlen auf Stellung "laut" am Gasgriff verharrt der Zweizylinder einen kleinen Moment untätig bevor es weitergeht. Das ist zwar nicht dramatisch, läßt aber eben das letzte kleine bißchen kompromissloser brutalstmöglicher Bissigkeit beim Herbrennen vermissen.

 

Die Rückfahrt über die Dosenbahn läßt einen kurzen Vmax-Test zu, bei ca. Tempo 214 auf der leicht abschüssigen A661 ist laut Digitaltacho praktisch Schluß. Hier macht offensichtlich die Einbauküchen-Aerodynamik einen Strich durch die Rechnung "viel Power = viel Vmax", wobei über 200 wohl ohnehin ein ganz brauchbarer Wert für eine Reiseenduro sind. Der Wunsch nach mehr hält sich bei Tempo 210 denn ohnehin in Grenzen. Zwar stellen sich noch keine Unruhen im Fahrwerk ein, aber die gemachten Erfahrungen mit den stumpfen Bremsen und das hieraus resultierende fehlende Vertrauen hinterlassen ein etwas unwohles Gefühl. Außerdem schneit es schon wieder leicht, und die große Enduro reagiert spürbar auf Seitenwind. Der Motor dreht bei diesem Tempo übrigens kurz vor dem "orangenen Bereich" bei 9,5 kU/min.

Die letzten Meter über die Hanauer Landstraße im freitäglichen Feierabendverkehr beweisen nochmal die Kompetenz der Adventure im Abenteuer Alltag. Das Durchschlängeln zwischen den stehenden Autos, beiläufiges Erklimmen des Bordsteins und zurückspringen an der gerade grün gewordenen Ampel lassen sich mühelos und souverän meistern, und an der Ampel braucht man auch vor aufgemotzten Dreier BMWs oder Zuffenhausener Sportwagen keinen Respekt zu haben.

Tja, wie lassen sich die Qualitäten der Adventure nun am besten zusammenfassen?! Der Name ist Programm, vom Abenteuer Alltag über sportliche Wochenendbrennereien bis zur Fernreise über unbefestigte Wege kann sie alles überdurchschnittlich gut. Und damit vereint sie sehr vieles von dem, wofür ich vier Motorräder habe. Die 950er hat mehr Leistung auf der Landstraße als meine FZRR, bessere Reisetauglichkeit als meine Dominator und zumindest ansatzweise Enduroqualitäten wie meine 620er. Mit etwas mehr Übung und weniger Respekt läßt sie sich vielleicht sogar fast so gut auf dem Hinterrad fahren wie meine XL 185 (im Versuch hat es allerdings nur für einen halbwegs geglückten Vorderradlupfer im ersten Gang gereicht). Und auf allen Gebieten erreicht sie ein sportliches Niveau, daß es bis dahin bei einem solchen "Zwischending" noch nicht gegeben hat - ein Porsche Cayenne auf zwei Rädern sozusagen.

Für mich persönlich kommt sie allerdings zur Zeit eher nicht in Frage, denn zum Knieschleifen auf dem Ring gibt es geeignetere Geräte, zum Endurieren im Sandschlamm von Hoope ist selbst meine olle SC besser und für Alltag und Reise hat meine Dominator einen für mich entscheidenden Vorteil: Für den Preis einer Adventure bekomme ich ungefähr zehn Dominators.

Würde man mir aber eine Pistole auf die Brust setzen und mich zwingen, nur noch ein Motorrad fahren zu dürfen, wäre die LC8 sicher ganz vorne dabei!